Ich empfehle sie deshalb dieser einen Freundin, die eigentlich schon immer in der Kulturbranche arbeiten wollte, aber sich zu einem Karrierewechsel noch nicht durchringen konnte.
Die Kulturbranche deshalb, weil Gottliebs Lebens- und Arbeitsweise wohl nicht nur für Angehörige des Verlagswesens typisch ist. Schon als Junge liest er viel, begeistert sich aber auch für Ballett, sowie klassische Musik und Popmusik. Als Student schert er sich wenig um starre Curricula und mehr um die eifrige Erarbeitung des klassischen Literaturkanons (er liest zum Beispiel "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" von Marcel Proust in sieben Tagen, ein Band pro Tag). Er bildet seine Identität, seinen Geschmack anhand von Literatur.
"There's a need, when you're young, to announce your standards, your preferences; to identify yourself through your choices (...) In our case, they were cultural. Shakespeare, yes; Milton, no. Bach and Mozart, yes; Tchaikovsky, no (that would change) (...)"
Auf den ersten Blick erscheinen der beschriebene junge und der ältere Gottlieb zwei unterschiedliche Persönlichkeiten. Ersterer ist einsam, in der Schule gelangweilt, in der Uni rebellisch, im Leben ziellos. Letzterer verbringt Wochenenden im Büro, erklärt die Arbeit für seinen Hauptlebensinhalt und teilt seine Lebensabschnitte ein nach den Büchern, denen er zur Veröffentlichung verholfen hat. Dieser Widerspruch erklärt sich - Gottlieb erklärt ihn selbst - daran, dass der erfolgreiche Verleger von Beginn seiner Karriere einer Arbeit nachging, die ihm am Besten lag und die ihm am Besten gefiel. Wie er selbst sagt:
"My luck was that just about all my work depended on reading, which was the thing I most liked doing, and something I knew I was good at."
Gottliebs lebhafte Beschreibungen seines Arbeitsalltags machen Lust, selbst direkt einen Karrierewechsel vorzunehmen. Bei der Lektüre dieses Buches ist Begeisterung - auch für die englischsprachige Literaturszene - aber beinahe unabdinglich! Gottliebs Schilderungen seiner Freunde und Geschäftspartner im Literaturbetrieb sind detailreich und langanhaltend.
Wer sich für den englischsprachigen Buchmarkt der letzten Jahrzehnte interessiert - oder sich trotz Desinteresses zur Lektüre dieses Buchs entschließt - wird aber auch anderweitig belohnt. Gottliebs Interesse für Ballett und seiner Tätigkeit als Vorstandsmitglied des New York City Ballet wird ein - wenn auch kurzes - Kapitel gewidmet. Darüber hinaus schreibt Gottlieb über Freundschaften, Ehe und Familie, Reisen und Musik. Wenn Memoiren eine Aufgabe haben, dann wohl, ihren Lesern und Leserinnen Ideen für ihr eigenes Leben zu geben. Wenn wir auch nicht alle Verleger*Innen werden können, so gibt Robert Gottlieb doch auch den ein oder anderen Tipp in die Hand, zumindest in der Freizeit, der Leseleidenschaft bedingungslos zu frönen!